- Mission und Kolonisation
- Mission und KolonisationDie Konfessionalisierung, die zunehmende Betonung der eigenen Konfession, führte in den Orden zu Beginn der frühen Neuzeit zu einem wachsenden Missionseifer, der die Entdeckung der »Neuen Welt« und die anschließende Phase der Kolonisation entscheidend vorantrieb und bestimmte. Der infolge des Niedergangs des Mongolenreiches blockierte Landweg nach Asien machte die Suche nach Alternativen auf dem Seeweg erforderlich und trug zu den geographischen Neuentdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert bei: 1492 landete Kolumbus auf den Inseln vor Mittelamerika, die er für einen Teil Westindiens hielt, 1498 umsegelte Vasco da Gama das Kap der guten Hoffnung, 1500 entdeckte der Portugiese Cabral Brasilien, 1516 gelangten portugiesische Kaufleute nach China und 1542/43 stießen sie bis Japan vor; in den Jahren von 1519 bis 1532 entdeckten und eroberten schließlich die Spanier Mexiko, Chile, Argentinien und Peru.Spanier und Portugiesen verstanden es, sich bereits 1494 im Vertrag von Tordesillas die exklusive Nutzung der entdeckten und noch unbekannter Gebiete durch einen Schiedsspruch Papst Alexanders VI. als Kolonialreiche zusprechen zu lassen. Die Welt wurde unter den beiden Mächten aufgeteilt: Die Spanier erhielten ganz Amerika außer Brasilien, die Portugiesen den Fernen Osten bis zu den Philippinen und bis Japan. Beide Nationen bekamen auch die volle Verfügungsgewalt, das Patronat, über die Kirchenorganisation in ihren Gebieten und verpflichteten sich, alle Bewohner zum Christentum zu bekehren. Kolonisatoren und Missionare arbeiteten seither in den sich rapide vergrößernden Missionsgebieten eng zusammen - häufig zum Nachteil des christlichen Glaubens.Hierbei legte das christliche Abendland vor allem in Lateinamerika ein aggressives Selbst- und Sendungsbewusstsein an den Tag, das als zentrales Motiv in der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Ethik fest verwurzelt war. Obwohl die Ureinwohner über eine hohe Kultur und eine differenzierte Religiosität verfügten, wurden sie als Wilde und ihre Götter als Götzen betrachtet. Dabei verfügten die Missionare weder über die finanziellen Mittel noch über eine ausreichende Zahl von Menschen, die zu einer umfassenden. Christianisierung unabdingbar gewesen wären; immerhin soll es gegen Ende des 16. Jahrhunderts fast 5000 europäische Mönche in Lateinamerika gegeben haben. Bereits Kolumbus meinte in seinem Bericht von seiner ersten Fahrt: »Es frohlocke Christus auf Erden, wie er im Himmel frohlockt, wenn er sieht, dass die vorher verlorenen Seelen so vieler Völker gerettet werden.« Den Heiden das Heil zu bringen, war in der Praxis allerdings nur die religiöse Legitimation für die Suche nach Edelmetallen, kostbaren Spezereien oder kunsthandwerklichen Erzeugnissen. Hernán Cortés brachte diese Grundhaltung in seiner Botschaft an den Aztekenherrscher Moctezuma (Montezuma) ohne jede Umschweife auf den Punkt: »Ich und meine Gefährten leiden an einer Krankheit des Herzens, die nur mit Gold geheilt werden kann.«Die Notwendigkeit, dass die teuren und riskanten Überseefahrten Gewinne abwarfen, ergab sich dabei bereits aus den Interessen der Investoren. Und deren Erwartungen wurden nicht enttäuscht, das Land erwies sich wirklich als außerordentlich reich an Bodenschätzen: Cortés' Sieg über die Azteken und Pizarros Vernichtung der Inka brachten den Europäern mehr Gold ein, als sie bisher je gesehen hatten. Allein die Bergbaustadt Potosí in den peruanischen Anden, bereits im Jahr 1600 eine Stadt von 120 000 Einwohnern, deckte mit ihrem 4700 Meter hohen Cerro Rico, einem ergiebigen Silberberg, für eineinhalb Jahrhunderte den Löwenanteil des europäischen Bedarfs an Edelmetallen. »Gold, Ruhm und Evangelium« lautete dann auch das Motto der spanischen Eroberer, und zwar in eben dieser Reihenfolge. Suchte man in Amerika die sagenhaften sieben goldenen Städte Eldorados, so war es in Asien neben den Gewürzinseln das sagenhafte Goldland Japan aus den Reisebeschreibungen Marco Polos, und auch an den afrikanischen Küsten beteiligte man sich eifrig am Goldhandel.Trotz der zahlreichen Konflikte konnte in Lateinamerika hauptsächlich durch die Arbeit der Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner, Mercedarier und Jesuiten eine kirchliche Verwaltungsstruktur nach europäischem Vorbild aufgebaut werden. Davon zeugen die Einrichtung von 35 Bistümern allein im spanischen Einflussgebiet ebenso wie die Veranstaltung einer Provinzialsynode in Lima 1551.In den besetzten Gebieten wurde als Kolonisationsinstrument die Encomienda eingeführt, ein System, bei dem im Namen des Königs als Rechtsnachfolger der indianischen Herrscher einzelnen Kolonisatoren Gruppen von Ureinwohnern zugewiesen wurden. Als Gegenleistung und Bezahlung für ihre Unterbringung und Missionierung hatten die mittellosen Indios Zwangsarbeit zu leisten. Das System, das nur die hemmungslose Ausbeutung der Eingeborenen legitimieren half, wurde von vielen Missionaren heftig kritisiert. Bartolomé de Las Casas, selbst ehemaliger Inhaber einer Encomienda, verstand es, 1542 Karl V. zu neuen Gesetzen zu motivieren, in denen dieses System reformiert werden sollte. Die Kolonisatoren reagierten mit massiven Protesten bis hin zur Drohung mit politischer Unabhängigkeit wie in Peru, in der Regel konnten sie aber die neuen Vorschriften aus Spanien offenbar einfach ignorieren und verhinderten so ihre Durchsetzung bis ins 18. Jahrhundert.Alternative Missionsversuche kamen erst im 17. und 18. Jahrhundert auf. Die Kirche erwarb größere Landstriche, die als geschlossene Siedlungen unter Ordensverwaltung standen. In ihnen konnte man einerseits nomadisierenden Gruppen alternativen Lebensraum bieten, andererseits die Indios vor Gewalt schützen und zur Selbstständigkeit führen. Die bekanntesten dieser Reservate unter kirchlicher Selbstverwaltung waren die 1609 eingerichteten Reduktionen der Jesuiten in Paraguay und Brasilien, der Jesuitenstaat.Anstelle der einheimischen Sklaven, die besonders empfindlich auf von den Kolonialmächten eingeschleppte Infektionskrankheiten reagierten, wurden schwarzafrikanische Sklaven als Plantagenarbeiter eingeführt, von denen man sich auch versprach, dass sie die schweren körperlichen Belastungen besser aushielten. Gegen ihren Einsatz erhob sich nur geringer Widerspruch. Denn wie konnten die Missionsorden glaubwürdig gegen die Sklaverei der Schwarzafrikaner auf den Zuckerrohrplantagen Stellung beziehen, wenn sie sich - vor allem im portugiesischen Herrschaftsgebiet Brasiliens - gezwungen sahen, für den eigenen Unterhalt wirtschaftliche Betriebe aufzubauen, in denen sie sich selbst der Sklaverei bedienten?Die Sklaven aus Schwarzafrika, das »schwarze Gold«, erbeutete man anfangs auf Raubfahrten entlang der afrikanischen Küsten, die aber schon bald durch einen organisierten Sklavenhandel in großem Stil ersetzt wurden, an dem auch Kleriker und Ordensangehörige beteiligt waren. Hier - wie in Asien - stießen die Europäer schon bald an die Grenzen ihrer expansiven Möglichkeiten. Zu einer erfolgreichen Eroberung des afrikanischen Kulturkreises waren sie bis zum 19. Jahrhundert nicht imstande. Zunächst mussten sich die Portugiesen wie auch nach ihnen die Franzosen, Niederländer und Engländer auf kleinere Territorien in Küstennähe beschränken. Größere Missionserfolge stellten sich abgesehen vom Kongo und von Angola auch durch die Konkurrenz des Islam nicht ein.Auf noch größere Probleme stieß die Ausbreitung des Christentums in Asien. Vor allem fand man hier zwei Großmächte vor, in deren Machtbereich die Europäer bestenfalls geduldet waren, das Mogulreich in Indien und das der Mandschu in China. In Indien tat man sich nicht nur mit der religiösen Konkurrenz durch den Islam und dem fest verwurzelten Kastensystem der Hindus schwer, sondern musste sich auch mit den im Süden des Landes ansässigen Thomas-Christen auseinander setzen, die einen vom lateinischen abweichenden syrischen Ritus praktizierten. Japan blieb den Europäern bis auf den Hafen Nagasaki für zwei Jahrhunderte sogar völlig verschlossen. Ab 1639 gewährte es nur noch den Niederländern Zutritt, und auch diese mussten unter sich bleiben. China verfolgte die gleiche isolationistische Handelspolitik und beschränkte den legalen Chinahandel auf Kanton und das portugiesische Macao. Neben Goa, dem Zentrum des asiatischen Gewürzhandels, sollte es zum Ausgangspunkt der Indien- und Chinamission werden.Ordensleute wie die Franziskaner und Dominikaner hatten schon seit dem 13. Jahrhundert im Vorderen und Hinteren Orient Missionsarbeit betrieben, aus der bereits 1307 die Gründung des Bistums Kambalek (= Peking) erwachsen war. Auch wenn etliche Missionare bei ihren Versuchen, Burma, Ceylon, Indien oder China zu evangelisieren, die Religionen der Hindus, Buddhisten und Konfuzianer, auf die sie trafen, für ebenso minderwertig hielten wie die der Ureinwohner Lateinamerikas, stießen sie doch auf argumentativen Widerstand und philosophische Vorbehalte. Vor allem aber die ganz andere politische Situation, die sie vorfanden, trug dazu bei, dass in dieser Phase ein völlig neuer Weg des Missionierens beschritten werden musste.Der Jesuit Roberto De Nobili bemühte sich in Indien und sein Ordensbruder Matteo Ricci in China um eine Anpassung des Christentums an die veränderten kulturellen Bedingungen. Sie zeigten sich vergleichsweise tolerant gegenüber einheimischen Gebräuchen und Praktiken. Indem sie viele Zeremonien, rituelle Waschungen, Ahnenkult oder Konfuziusverehrung unangetastet ließen und die sozialen und kulturellen Verhältnisse respektierten, wollten sie vor allem die gebildeten Schichten für das Christentum gewinnen. Erst durch diese Praxis der Zugeständnisse gelangen in beiden Ländern sichtbare Missionserfolge. Besonders Matteo Ricci stieg nicht nur zum Freund und Berater am kaiserlichen Hof in Peking auf, sondern erreichte 1657 sogar eine umfassende Religionsfreiheit für das Christentum im chinesischen Hoheitsgebiet. Konkurrierende Dominikaner und Franziskaner zeigten ihn wegen dieser Praxis in Rom an und lösten damit den Ritenstreit, eine Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit dieser kulturellen Anpassung des Christentums, aus. Mit der kurzsichtigen Entscheidung gegen die Angleichung an die kulturelle Situation im Jahr 1704 endeten die viel versprechenden Ansätze einer Kirche in China und Indien, wo Christen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar wieder verfolgt werden konnten.Dr. Ulrich RudnickEinleitung in die Missionsgeschichte. Tradition, Situation und Dynamik des Christentums, herausgegeben von Karl Müller und Werner Ustorf. Beiträge von Theodor Ahrens u. a. Stuttgart u. a. 1995.Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Neuausgabe Graz u. a. 31995.
Universal-Lexikon. 2012.